Der Magier mit Hüftschnupfen

Oder: Wie wir im Geiste beweglich bleiben

Der Geist kennt viele Zwischenräume ...
Der Geist kennt viele Zwischenräume ...

„Mama, bitte sag ihr nicht, dass sich in meinen Händen schon das wahre Potential entfaltet hat“, flüstert mir mein Mittlerer im Warteraum der osteopathischen Praxis zu. „Ok, ich sage nichts“.

 

Der Mittlere hat eine große Herausforderung hinter sich. Aus unserer erwachsenen Sicht eine fast nicht zu bewältigende Herausforderung. Er hatte schweren Hüftschnupfen und damit insgesamt drei Wochen strenge Bettruhe. Wohlgemerkt ohne die normalerweise zum Liegen erforderlichen Symptome wie Fieber, Gliederschmerzen oder einen Gips am Bein zu haben. Er musste schlicht und einfach Ruhe geben, damit sich sein Hüftgelenk zur Heilung entschließen konnte.

Nun, was es für eine Mutter bedeutet, einen sechsjährigen Buben vor jeder unnötigen Bewegung (unnötig bedeutet hier: jede Bewegung außer der Weg zur Toilette,  zum Essen und wieder ins Bett) zu schützen, brauche ich hier nur anklingen zu lassen. Ich formuliere es positiv: Der erste Stadtbummel nach diesen 3 Wochen Quarantäne hat sich angefühlt wie ein Urlaubstag in der Karibik. Da war es mir auch egal, dass der Prosecco warm war.

 

 

Was mich heute vielmehr interessiert ist, wie hat es mein Kind geschafft? Wir könnten davon ausgehen, dass ein Kind unter den oben beschriebenen Umständen nach dem dritten Tag Ruhe übellaunig, gelangweilt oder gar aggressiv werden könnte. Ich würde es dem Kind nicht übel nehmen, wenn es sich die Zeit mit einer dieser Strategien vertreiben würde. Schließlich schafft es nicht einmal ein Kind, den ganzen Tag fernzusehen, Computer zu spielen oder Hörbücher zu hören. Irgendwann ist der Overflow programmiert. Und die Eltern, Großeltern und Geschwister haben auch nicht den ganzen Tag Zeit, sich ans Bett des vermeintlich Kranken zu setzen. Da draußen wartet die Welt.

 

Unser Mittlerer hat keine der aufgezählten Wege gewählt. Natürlich, er durfte fernsehen, er durfte am Ipad spielen und wir alle haben ihm mehr Zeit als gewöhnlich gewidmet. Und trotzdem ist noch immer eine, aus meiner Sicht, große Menge an Zeit übrig geblieben, die er sonst mit „unnötiger“ aber eben wundervollen Bewegung ausgefüllt hätte. Was also hat er gemacht?

 

Er hat sich der Magie bedient. Unser Mittlerer ist ein Geschichten-Denker. Er erzählt seine Geschichten nicht, er denkt sie. Darin ist er ziemlich gut. Öffnet sich ihm eine Quelle der Inspiration wie die Welt der Drachen, der Ritter oder der Ninjas, schlüpft er quasi durch eine Öffnung von Zeit und Raum. Und findet sich in einer erdachten „Anders-Welt“ wieder. Die Realität verliert an Bedeutung. Sie ist vielleicht noch ein Anker oder Bodensatz, von dem aus Nahrung, Wasser oder Geborgenheit ausgestrahlt wird. Der Rest seiner Existenz verlagert sich in die „Anders-Welt“. Für diesen Auszug aus unserer Wirklichkeit benötigt der Mittlere wenig. Es genügen ein paar Ausmalbilder, ein paar Legomännchen oder eine Geschichte, die man vorliest.

 

Ich glaube, auch ein Teil seines Körpers wandert in diese neue Welt aus. Denn dort darf er sich bewegen. Dort darf er Abenteuer bestehen, gegen Drachen oder Schlangen kämpfen, laufen, tanzen und springen. Ein Teil seines Körpers schlüpft mit dem Geist durch die magische Spalte und feiert dort ein Fest. Sein Geist erdenkt sich alle ersehnten Bewegungen. In der „Anders-Welt“ ruft niemand: „Zurück ins Bett!“

 

Wir Großen sehen nichts von all dem. Er sitzt ja brav in seinem Bett. Vielleicht springen ein paar Lego-Männchen auf und ab. Die Magie wirkt. Wir brauchen ihn nicht schimpfen. Der feinstoffliche Teil seiner Existenz bewegt sich,  solange er Lust dazu hat. Er hat keinen Grund übellaunig oder aggressiv zu werden.

 

In diesen zwei Wochen hat er, laut eigenen Erzählungen,  in dieser anderen Welt begonnen, sein wahres Potential zu entfalten. Was auch immer dies bedeuten mag. Er lässt keinen Zweifel daran. Er erklärt es aber auch nicht. Und wissen soll es nun doch nicht jeder. Auch die Osteopathin darf es nicht erfahren.

 

Morgen müssen wir ihn aus seiner Zeit-Raum-Spalte zurückholen. Die Befunde sind allesamt gut. Die Schule wartet. Gut, dass dort den kleinen Magiern auch noch die Zeit zum Träumen zugestanden wird. Denn nur so können kleine Magier auch in der „Hier-Welt“ ihr wahres Potential entfalten.

 

 

 

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Kommentare: 2
  • #1

    Jenni Johnston (Freitag, 03 Februar 2017 09:03)


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  • #2

    Vania Serra (Freitag, 03 Februar 2017 22:46)


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